Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

Auf der Arabischen Halbinsel fehlt das Gefühl der "Umweltbürgerschaft"

30.05.2022

Eine der neuen IASS Fellows dieses Jahres ist Natalie Koch. Sie ist Professorin an der Fakultät für Geografie und Umwelt an der Maxwell School of Citizenship and Public Affairs der Syracuse Universität. Derzeit erforscht Koch die Geopolitik der Nachhaltigkeit und „Post-Öl“-Zukunft auf der Arabischen Halbinsel. Im Interview erläutert sie ihr Forschungsvorhaben und inwieweit der Krieg in der Ukraine die Transformation Europas zu einer Energieversorgung mit erneuerbaren Energiequellen womöglich beschleunigt.

Fellow Natalie Koch
Natalie Koch erforscht die Geopolitik der Nachhaltigkeit und „Post-Öl“-Zukunft auf der Arabischen Halbinsel.

Was ist Ihr Forschungsgebiet und wie kam es dazu?
Natalie Koch: Meine Forschung geht der Frage nach, warum führende Persönlichkeiten auf der arabischen Halbinsel im vergangenen Jahrzehnt große Projekte in den Bereichen Nachhaltigkeit und erneuerbare Energien gefördert haben. Ich konzentriere mich vor allem auf die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), die in der Region führend sind, wenn es darum geht, sich eine Zukunft ‚nach dem Öl‘ vorzustellen und aufzubauen. Als ich mit meinen Nachforschungen in den Golfstaaten begann, fiel mir sofort auf, dass Nachhaltigkeit ein wichtiges Konzept war, die diese Regime nutzten, um ein modernes und wohlwollendes Image von sich zu vermitteln. Aber wie bei allen anderen spektakulären Projekten, die ich recherchiere, geht es bei den ikonischen Nachhaltigkeitsprojekten nicht nur um PR: Sie werden immer von mächtigen internationalen Netzwerken aus Macht, Geld und Fachwissen gestützt. Mein Projekt über die ‚Zukunft nach dem Öl‘ zielt darauf ab, diese Netzwerke zu kartieren - und zu verstehen, was das für die Energiewende in der Region und weltweit bedeutet.
 
Können – paradoxer Weise - der Einmarsch Russlands in die Ukraine und die Energieabhängigkeit der europäischen Staaten für die große Transformation sogar hilfreich sein?
N. K.:  Der russische Krieg gegen die Ukraine hat die Aufmerksamkeit erneut auf die Herausforderung der gegenseitigen Abhängigkeit im Energiebereich in ganz Eurasien und die Risiken der Abhängigkeit von einem autoritären Staat wie Russland gelenkt. Aber das Problem ist nicht neu - meine früheren Forschungen konzentrierten sich auf Kasachstan und Aserbaidschan, wo Ölpipelines in den 1990er Jahren ein beliebtes politisches Instrument von Boris Jelzin waren. Und ich erinnere mich noch gut daran, als die russische Regierung der Ukraine 2006 den Gashahn zudrehte. Die westlichen Sanktionen sind dieses Mal jedoch neu, was auf eine Akzeptanz der europäischen Mitschuld an der politisch und ökologisch unhaltbaren Energiearchitektur hindeutet, die unsere Gegenwart bestimmt. Wenn es den führenden Politikern Europas gelingt, die Krise zu nutzen, um einen entschlosseneren Weg zu Erneuerbaren einzuschlagen, wird Europa vielleicht früher die fossile Vergangenheit hinter sich lassen.

Welche Rolle könnten die arabischen Länder dabei spielen?
N. K.:  Die führenden Politiker der Golfstaaten sind Opportunisten und der russische Krieg hat ihre Energieressourcen noch wertvoller erscheinen lassen als zuvor. Sie wissen auch, dass die Beziehungen zu Deutschland besonders wichtig sind, was durch den Besuch von Vizekanzler Habeck in der Region im März und den Besuch des Emirs von Katar bei Bundeskanzler Scholz in Berlin im Mai deutlich wurde. Die daraus resultierenden Energieabkommen konzentrierten sich auf LNG-Lieferungen aus Katar, während die Vereinbarungen mit den Emiraten hauptsächlich mit Wasserstoff zu tun haben. Die neuen LNG-Terminals, die in Deutschland für die Aufnahme von katarischem Gas geplant sind, sollen auch Lieferungen von Produkten auf Wasserstoffbasis verarbeiten können. Dazu gehört auch Ammoniak, mit dem der erste (blaue) Wasserstoff nach Deutschland transportiert werden soll. Es gibt viele schwierige Fragen darüber, wie ‚grün‘ Wasserstoff in der Zukunft sein kann, aber die Akteure am Golf sind daran interessiert, die neuen Energiebeziehungen zu festigen, die sich im Gefolge des russischen Krieges bilden. Es wird sich jedoch erst noch zeigen, ob dies der Umwelt mehr nützt als schadet.

Eines Ihrer Projekte während Ihres Stipendiums am IASS ist es, die Bemühungen der Golfstaaten und der europäischen Staaten um eine Energiewende und eine nachhaltigere Energieversorgung zu vergleichen - was können Sie dazu schon sagen?
N. K.:  Ein Vergleich zwischen den Golfstaaten und den europäischen Staaten ist schwierig, da sich ihre politische und soziale Geografie stark unterscheidet, ganz zu schweigen von den physischen und materiellen Aspekten ihrer Stellung im globalen Energiesystem. Dennoch können wir eine Menge lernen, wenn wir uns fragen, was ihre Unterschiede in Bezug auf die Energiewende erklärt. Ich konzentriere ich mich auf die Frage, wie sich das undemokratische System in den VAE, Saudi-Arabien und Katar in der Energiepolitik widerspiegelt. Um Nachhaltigkeit zu erreichen, haben diese Regierungen Großprojekten den Vorrang gegeben, die die traditionelle Rolle des Staates bei der Kontrolle und dem Profitieren von Energie stärken. Dies wiederum bedeutet, dass die Bewohner der Golfstaaten nicht wie in Europa als aktive Teilnehmer an der Energiewende aktiviert werden. Junge Menschen in der Golfregion werden heutzutage viel häufiger mit der Botschaft der Nachhaltigkeit konfrontiert, aber es gibt immer noch kein vergleichbares Gefühl der ‚Umweltbürgerschaft‘, wie man es bei vielen Europäern findet. Nachhaltigkeit wird hier häufig mit einem demokratisierenden Potenzial in Verbindung gebracht. Das ist in der Golfregion nicht der Fall.

Die Gestaltung einer "Post-Öl"-Zukunft für die Arabische Halbinsel verändert die Narrative - wie funktionieren diese neuen Nachhaltigkeitsnarrative auf lokaler Ebene, und was bewirken sie in den Gesellschaften der Golfstaaten, die jahrzehntelang das Gegenteil erlebt haben?
N. K.:  Der Gedanke der Nachhaltigkeit ist in der Öffentlichkeit viel präsenter geworden in den vergangenen zehn Jahren. Aber ich würde nicht sagen, dass sich die Situation dramatisch verändert hat. In Dubai gibt es zum Beispiel eine ‚Clean Energy Strategy‘, die darauf abzielt, dass das Emirat bis 2050 zu 75 Prozent mit sauberer Energie versorgt wird. Um dieses Ziel zu erreichen, haben die Regierung und ihre verschiedenen staatlich kontrollierten Versorgungsunternehmen in den Bau des Al Maktoum Solar Park investiert - ein riesiges Gelände in einem abgelegenen Teil der Wüste. Durch die Fokussierung auf ein solches Projekt verlangt die Regierung von den Bürgerinnen und Bürgern keine Änderung ihres Lebensstils, und es ist sogar sehr unwahrscheinlich, dass diese Menschen die Anlage jemals selbst sehen werden. Dieses Muster ist ebenso in Katar zu beobachten, wo die Regierung eine enorme Summe in eine hochtechnologische integrierte Abfallanlage investiert hat. Alle Abfälle und Wertstoffe werden gemeinsam verarbeitet, so dass die Bewohner die Güter nicht selbst trennen müssen. Auch hier ist keine soziale Verhaltensänderung erforderlich und die in anderen Teilen der Welt zu beobachtenden Handlungen eines guten ‚Umweltbürgers‘ sind irrelevant.

Wie ernst ist es den Führern der arabischen Staaten mit der Energiewende? Welche Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien gibt es in der arabischen Region, die Sie beobachten oder bemerkenswert finden?
N. K.:  Die Staats- und Regierungschefs in der Golfregion nehmen die Energiewende ernst, aber vor allem deshalb, weil sie verstehen, dass ihr gesamtes politisches Wirtschaftssystem auf den Einnahmen aus fossilen Energiequellen aufgebaut ist - und dass diese Einnahmen bald in Gefahr sind. Sie wissen aber auch, dass sie in eine wirtschaftliche und politische Krise geraten werden, wenn sie diese Einnahmen jetzt nicht strategisch investieren. In den VAE konzentrieren sich die Initiativen für erneuerbare Energien auf zwei riesige Solarparks - den Al Maktoum Solar Park in Dubai und den Noor Abu Dhabi Park in Abu Dhabi. Beide haben große Probleme, die Solaranlagen von Staub zu befreien, da die von ihnen erprobten wasserlosen Reinigungstechnologien nicht richtig funktionieren. In einer Region, die fast ihr gesamtes Wasser aus dem energieintensiven Prozess der Entsalzung bezieht, ist Wasser also ein wichtiger limitierender Faktor für diese großen Solaranlagen. Darüber hinaus unterstützen die Regierungen der Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabiens und Omans die Wasserstoffenergie. Wie die meisten anderen Akteure in diesem Bereich gehen auch sie davon aus, dass es sich in Zukunft um ‚grünen‘ Wasserstoff handeln wird, aber bis jetzt ist es meist grauer oder blauer Wasserstoff. Zwei der Ölgiganten der Region, ADNOC (Abu Dhabi National Oil Company) in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Aramco in Saudi-Arabien, haben große und expandierende Projekte zur Kohlenstoffabscheidung und -speicherung, und es wird wichtig sein, zu beobachten, wie sich dies in Zukunft entwickelt.

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Sabine Letz

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